Rechnung

Anno 1839 gründen 28 Apotheker um Ferdinand Ludwig Winckler den „Apothekerverein im Großherzogtum Hessen“

Ein Blick in die Geschichte der organisierten hessischen Apothekerschaft

Die Gründungsväter um Ferdinand Ludwig Winckler

Es gilt bis heute als Jahrzehnt des Fortschritts: 1835 verkehrt die erste deutsche Eisenbahn auf der Strecke Nürnberg-Fürth, zwei Jahre später erfindet Samuel F.B. Morse in New York den Schreibtelegraphen. 1839 veröffentlicht Stendhal seinen Roman „Die Kartause von Parma“ und Chopin sein „Préludes“, malt Spitzweg den „Armen Poeten“ und entdeckt Theodor Schwann den Kern der Tierzelle. In jenem Jahr 1839, es ist der 22. Juli, fordert im südhessischen Zwingenberg der Apotheker Ferdinand Ludwig Winckler seine Kollegen auf, sich an der Einrichtung eines „Apothekervereins im Großherzogtum Hessen“ zu beteiligen - er gibt damit den Impuls zur Gründung des heutigen Hessischen Apothekerverbandes e.V. Am 8. September 1839 treffen sich 28 Apotheker zur Gründungsversammlung in Zwingenberg: 15 aus der damals großherzoglichen Provinz Starkenburg mit der Hauptstadt Darmstadt und der wichtigen Industriestadt Offenbach, vier aus Oberhessen und neun aus Rheinhessen. Für den provisorischen Gründungsausschuss gewann Winckler im Vorfeld die Medizinalräte Merck und Rube aus Darmstadt, den Medizinalassessor Büchner aus Mainz, Dr. Mettenheimer aus Gießen und Apotheker Martiny aus Schlitz. In das erste Direktorium - wie es damals noch heißt - berufen die Gründungsmitglieder am 8. September 1839 Rube, Mettenheimer und Büchner, während der eigentliche Gründungsvater Winckler als Generalsekretär eingesetzt wird und dieses Amt ununterbrochen bis 1856 inne hat. Die Zahl der Mitglieder wächst rasant: Anno 1840 zählt der Apothekerverein bereits 64 Mitglieder.

Ferdinand Ludwig Winckler - Apotheker, Forscher, Autor

Ferdinand Ludwig Winckler erblickt am 28. November 1801 in Heringen bei Nordhausen das Licht der Welt. Nach seinen Konditionsjahren studiert er und erwirbt dort im Jahr 1823 den Doktortitel. Noch im selben Jahr eröffnet er in Zwingenberg die Hof-Apotheke. 1844 öffnet er die Adler-Apotheke in Darmstadt. 1850 wird er zum Medizinalassessor, darauf zum Medizinalrat und schließlich zum Obermedizinalrat im Ministerium ernannt. Aus diesem Grund verkauft Winckler im Jahr 1863 seine Apotheke und widmet sich bis zu seinem Tod am 6. September 1868 ausschließlich wissenschaftlichen Studien. Er publiziert wertvolle Arbeiten über die Chinarinde, Morphium, Piperin, Castorin und Fumarsäure, entdeckt Quassit und die Mandelsäure und stellt 1847 erstmals das Cinchonidin dar. Zudem gibt er gemeinsam mit J.E. Herberger das „Jahrbuch der praktischen Pharmazie“ heraus.

Meilensteine in der Geschichte des HAV

  • Am 14. Dezember 1839, rund drei Monate nach der Gründungsversammlung, genehmigt das Großherzogliche Ministerium die zwölf Paragrafen umfassenden Statuen des Apothekervereins im Großherzogtum Hessen. Sie benennen folgende Ziele: durch Belehrung, Ideenaustausch und Zusammenarbeit mit anderen Apothekervereinen die pharmazeutische Wissenschaft insgesamt zu fördern; ferner durch gemeinsame Anstrengung zu einer guten Gehilfenausbildung beizutragen und bei auftretenden Notlagen Unterstützung zu leisten; schließlich durch Sammeleinkauf auch die materiellen Interessen der Mitglieder zu berücksichtigen. 

  • 1873 tritt der Hessische Apothekerverein dem Deutschen Apotheker-Verein (DAV) bei und bildet nunmehr einen Bezirk des DAV. Gemeinsam strebt man im Zuge einer anstehenden Reorganisation der Medizinalbehörden folgende Ziele an: die Gleichstellung der ärztlichen und pharmazeutischen Mitglieder in der Ministerialabteilung, die Beschränkung des Wahlrechts nur auf vereinsangehörige Apothekenbesitzer und -verwalter sowie die Einräumung einer beratenden Funktion des pharmazeutischen Zentralausschusses bei Errichtung neuer Apotheken.

  • Zum 1. Januar 1877 wird den Apothekern in Hessen eine eigene Standesvertretung zugebilligt. Sie werden den Ärzten gleichgestellt und sind ab sofort in der Ministerialabteilung für Gesundheitspflege mit den gleichen Rechten wie die Ärzte vertreten.

  • Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges im Jahr 1914 hat erhebliche Auswirkungen auch auf das Apothekerwesen: Bereits am 11. August 1914 verbietet eine kaiserliche Verordnung die Aus- und Durchfuhr des gesamten Sanitätsbedarfs. Ab 1915 treiben den Verein die befürchtete Schließung von Apotheken aufgrund Personalmangels um. Doch es fehlt nicht nur an Apothekern: Auch das Material wird knapp, so dass unter anderem Öle und Fette rationalisiert werden müssen. 

  • Im Jahr 1920 ändert der Verband seinen Namen von  „Apothekerverein im Großherzogtum Hessen“ in  Hessischer Apothekerverein um, nachdem bereits 1918 aus dem Großherzogtum der Volksstaat Hessen geworden war. Zudem ersucht der Verein die Staatsregierung, alsbald ein Gesetz bezüglich Bildung einer Apothekerkammer mit Umlagerecht und Disziplinargewalt einzubringen.

  • Ende des Jahres 1923 wird die Regierungsvorlage für eine hessische Apothekerkammer Gesetz. Die notwendigen Wahlen dazu werden umgehend in die Wege geleitet. Die inflationsbedingte Not greift in diesem Jahr ebenfalls um sich. Der damalige Vorsitzende des Hessischen Apothekervereins, Julius Scriba, telegraphiert am 11. Oktober 1923 an das Reichsgesundheitsamt in Berlin:  „Furchtbare Geldentwertung letzter Tage zwingt Hessischen Apothekerverein zur  dringenden Forderung der Genehmigung selbständiger Anwendung täglichen amtlichen Dollarkurses zur Arzneiberechnung. (...) Sollte berechtigtem Begehren bis zum 15. Oktober nicht entsprochen werden, so ist Selbsthilfe oder Schließung der Apotheken aus Warenmangel nicht zu vermeiden.“ 

  • Am 4. November 1924 findet die erste Tagung der neuen Hessischen Apothekerkammer statt. Julius Scriba, Vorsitzender des Hessischen Apothekervereins, wird zum ersten Vorsitzenden der Kammer gewählt.

  • Nach zehn Jahren tritt Julius Scriba als Vorsitzender des Apothekervereins zurück. Unter seinen vielen Verdiensten würdigt man dabei besonders, dass er in der überaus schwierigen Zeit nach dem Ersten Weltkrieg den Verein so überaus erfolgreich geführt hat. Die Gründung der Hessischen Apothekerkammer und der Hinterbliebenenversorgung seien sein Werk und eng mit seinem Namen verbunden, heißt es in der Würdigung. Schließlich ist es auch Scriba, der 1931 maßgeblich die Auflösung des Vereins verhindert hat.

  • Ab 1. Januar 1935 trägt die Standesvertretung die Bezeichnung „Die Deutsche Apothekerschaft“ und stellt laut Satzung die einzige Vertretung aller Apotheker in Deutschland dar. Als weiterer Schritt zur totalen Gleichschaltung entstand schließlich aufgrund der Reichsapothekerordnung vom 18. April 1937 die kurz darauf errichtete Reichsapothekerkammer.

  • In Ausgabe 8 der  „Süddeutschen Apotheker-Zeitung" des Jahres 1947 steht unter der Überschrift „Was geht in Hessen vor?“ zu lesen, dass nach einem Aufruf von Apotheker Welcker aus Lollar am 1. August in Frankfurt eine Versammlung zur Gründung der  „Gemeinschaft Deutscher Apotheker Großhessens“ unter Beteiligung von über 200 Kollegen stattgefunden hat. Einstimmig konstituierte sich dort eine Vereinigung, die alle approbierten Apotheker Hessens umfassen sollte - und zwar mit gleichen Rechten und Pflichten. In den Artikel heißt es unter anderem: „Es dürfte dies in Deutschland die erste auf rein demokratischer Grundlage aufgebaute Apotheker-Standesorganisation sein...“ Der zum Interimsvorsitzenden gewählte Welcker nannte auch Zweck und Aufgaben dieser Gemeinschaft: 

    • Wahrung und Förderung der sittlichen, beruflichen und wirtschaftlichen Interessen des gesamten deutschen Apothekerstandes,
    • Förderung der wissenschaftlichen und technischen Belange der Pharmazie,
    • Schaffung einer Zuschusskasse, einer Alters- und Hinterbliebenenversorgung sowie einer Fürsorgeeinrichtung für arbeitsunfähige, hilfsbedürftige Kollegen,
    • Weitmöglichste Wahrung der Interessen aller Flüchtlingskollegen
    • Vorbereitung der Apothekerkammerwahl auf rein demokratischer Grundlage.
  • 1948 eröffnet der neu gegründete und vom Ministerium in Wiesbaden genehmigte Verein  als „Gemeinschaft Deutscher Apotheker“, kurz „GEDA“, eine zentrale Geschäftsstelle in der Gutleutstraße 40 in Frankfurt am Main. Die vier Bezirksgruppen Frankfurt, Darmstadt, Wiesbaden und Kurhessen nehmen ihre Arbeit auf. Ganz oben auf der Prioritätenliste steht, die „GEDA“ mit den inzwischen funktionslos gewordenen drei hessischen Apothekerkammern in eine einheitliche Standesvertretung auf freiwilliger Basis zusammenzuführen.

  • Im Mai 1949 votieren 900 hessische Apotheker mehrheitlich für den Zusammenschluss der „GEDA“ mit den inzwischen funktionslos gewordenen drei hessischen Apothekerkammern unter der Bezeichnung „Landesapothekerkammer - Gemeinschaft Deutscher Apotheker in Hessen e.V.“, abgekürzt „LAK-GEDA“. Im Juli wird eine Wahlordnung verabschiedet und im September das Ergebnis bekannt gegeben, das den damals 67 Jahre alten Walter Donat zum Vorsitzenden bestimmt. Er wirkt neben seiner Apothekertätigkeit in Goddelau als Standespolitiker und war von 1928 bis 1931 hessischer Landtagsabgeordneter. Im Mai 1949 erscheint auch erstmals die neue Zeitschrift „Der Deutsche Apotheker in Hessen“, zunächst als reines Nachrichtenblatt der hessischen Berufsorganisation. Aufgrund ihrer überregionalen Verbreitung wird sie nach wenigen Jahren in „Der Deutsche Apotheker“ umbenannt. Im Herbst 1949 beginnt nach entsprechenden Appellen einzelner Vorstandsmitglieder auch die Diskussion über Lösungen gemeinsamer Probleme, etwa zur Niederlassungsfreiheit, zu Vertragsabschlüssen mit den Krankenkassen, zur Klärung des Verhältnisses mit pharmazeutischer Industrie und Großhandel sowie zum Lastenausgleich für Apotheker. Als wichtigstes Anliegen priorisiert der Vorstand anlässlich einer Tagung der Bezirksgruppe Frankfurt die Bildung einer Landesapothekerkammer als „dringend notwendig“, denn die „GEDA“ solle lediglich die freiwillige Gemeinschaft aller hessischen Apotheker sein, wie sie ähnlich in Bayern und Württemberg bereits existiere.

  • Am 14. und 15. Oktober 1950 findet in Marburg der erste Apothekertag mit rund 300 Teilnehmern statt und zugleich auch die erste Jahreshauptversammlung der „LAK-GEDA“. Alle aktuellen Fragen - so wird es niedergeschrieben, lassen sich auf drei Grundprobleme zurückführen:

    • die Standesorganisation, wobei man Wert auf die Selbstverwaltung in Form einer Apothekerkammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts lege,
    • die Rechtsstruktur der Apotheken, wobei die Regelung des Apothekenwesens auf Bundesbasis das erstrebenswerte Ziel sei,
    • den Verkehr mit Arzneimitteln, wobei man insgesamt feststellte, dass sich das eigenmächtige Vorgehen Einzelner stets zum Schaden aller deutscher Apotheker ausgewirkt habe; es gelte deshalb, zusammenzustehen, da nur ein geeinter Apothekerstand sich anbahnende negative Entwicklungen aufhalten könne. 
  • Zum 1. Januar 1956 konstituiert sich die Landesapothekerkammer als Körperschaft des öffentlichen Rechts, was zwangsläufig das Ende der bisherigen Gemeinschaftsorganisation bedeutete. Auf einer außerordentlichen Hauptversammlung am 5. Februar 1956 unter dem Vorsitzenden Gustav Tauber ändert der Verband die Bezeichnung „LAK-GEDA“ in den bereits 1920 verwendeten Namen  „Hessischer Apothekerverein e.V.“ ab. Damit vollzieht sich sogleich eine Aufgabentrennung, wobei der Verein die wirtschaftlichen Belange der Apothekerschaft wahrnehmen solle, wie Tauber betonte.

Dieser Seiteninhalt wurde erstellt am 21.02.2023 . Letzte Änderung am 23.11.2023.